Eine Lesung!
Ich bin noch ganz erfüllt von meinem Lese-Sonntag in Unna-Massen! Der Saal war voll und das trotz Regenwetter und Stau auf der Autobahn! Viele Menschen “von außerhalb” hätten sich angemeldet, teilte mir der Buchhändler mit, er hatte Zweifel, ob die bei dem schlechten Wetter (wenn man den Regen, auf den wir alle so lange gewartet haben, schon gleich wieder als “schlechtes Wetter” bezeichnen will) wirklich kämen. Aber ja, sie kamen alle und haben die weite Anfahrt von Wuppertal und Köln und von ichweißnichtwoher nicht gescheut! Von ganzem Herzen Dank dafür, ich habe mich sehr gefreut, treue Leser und Leserinnen kennenzulernen, die seinerzeit sogar bis nach Châteauneuf gereist waren und mich dort aber knapp verpasst haben. Dieses Mal hat es geklappt! Es hat mich ebenso wahnsinnig gefreut, überraschend angereiste Freundinnen (und Ex-Kolleginnen) in die Arme zu schließen! Und ich habe mich über alle anderen Leser- und Leserinnen gefreut! Wie toll, dass Sie da waren!
Dabei fing es gar nicht gut an. Monsieur fuhr mich am Samstag in aller Frühe an den Flughafen. Die Sicherheitskontrolle dauert nicht allzu lang, ich habe genug Zeit zu frühstücken, denke ich zumindest, aber die Warteschlange für den Kaffee ist schier unendlich. Ich schütte den Kaffee in mich hinein, esse nur das halbe Sandwich und stehe erneut unendlich lange an der Toilette an. Dann soll schon gleich das Boarding beginnen, das Flugzeug ist da, die Menschen stehen bereits an, aber nichts passiert. Wir warten. Ich erhalte alle paar Minuten eine Nachricht auf meinem Handy, dass sich das Boarding verzögere, als merkte ich das nicht auch so. Ein Mitarbeiter der Flugcrew benötige medizinische Hilfe dringt irgendwann zu uns durch. Ich hoffe, es ist nicht der Kapitän, scherze ich mit einer Dame, die das offenbar nicht witzig findet. Wir warten. Dann schreit eine deutlich überforderte Bodenstewardess (keine Ahnung, ob man das noch so nennt) in Französisch und unverständlichem Englisch, dass sie nur ihren Job mache und es gebe eben Regeln und sie könne auch nichts dafür. So richtig verstehen wir nicht, was los ist, aber nun erscheint der deutsche Kapitän und erklärt auf Deutsch, dass auf dem Hinflug aufgrund der Turbulenzen eine Flugbegleiterin gestürzt sei und sich verletzt habe. Sie habe sich einen Zahn ausgeschlagen, habe starke Blutungen und musste zunächst verarztet werden. Es gehe ihr besser, aber sie könne nicht mehr auf dem Rückflug eingesetzt werden. Man habe also nur noch zwei FlugbegleiterInnen, die Regel besage, dass das Flugzeug dann nur mit 100 Passagieren besetzt sein dürfe. Wir seien 150. Man suche, verspricht er, für die 50 Passagiere, die nicht mitkämen, eine Lösung noch am gleichen Tag. Aufruhr in der wartenden Menge. Manche Passagiere hatten schon am Vorabend das Vergnügen, dass ihr Flug annuliert worden war. Wie werden die Passagiere, die ins Flugzeug dürfen, ausgewählt, fragen wir uns. Werden die ausgelost? Nun, zunächst dürfen die Businessclass-Passagiere hinein, dann Familien mit Kindern, davon gibt es mehrere, dann ältere Menschen, auch ein Paar mit einem Hund ist dabei. Ich erkläre drei Franzosen, die sich von hinten durchgeschlagen, aber den Kapitän nicht verstanden haben, auf Französisch den Sachverhalt. “Wir müssen mitfliegen”, sagen sie entschieden, “wir arbeiten morgen!” Ich sehe, wie sie sich nach vorne durcharbeiten, die Dame am Schalter scannt ihre Bordkarte und die drei Franzosen verschwinden im Gang zum Flieger. Hallo! Ich arbeite auch morgen! Ich habe eine Veranstaltung! Ich drängele mich jetzt also auch nach vorne durch, etwas, was ich nicht richtig kann und auch nicht mag. In Frankreich stehe ich oft als erste irgendwo an und komme, weil ich nicht drängeln mag, als letzte rein. Franzosen stehen keinesfalls so diszipliniert in einer Schlange, wie wir es gerade in England gesehen haben, und sie sind irgendwie gewieft im Vordrängeln, das aber nur am Rande. Ich erreiche den Schalter. Vor mir stehen noch drei Personen, als die Bodenstewardess sagt “nur noch eine Person!” Mir wird heiß. Ich sehe die Lesung ausfallen, all die Menschen die kommen wollten! Der Buchhändler, der so viel vorbereitet und geplant hat, mit Musik und Kaffee, Crepes und Kuchen. Ich bleibe trotzdem stehen. Die Bodenstewardess überprüft die Liste. Lange. Sie diskutiert mit einer hinzugekommenen Kollegin. Es ist unklar, wieviele Personen noch rein dürfen. Drei? Fünf? Zwei Businessclass-Passagiere haben sich verspätet und werden ausgerufen. Sie kommen abgehetzt von irgendwoher und ziehen an uns vorbei. Die junge Frau direkt vor mir ist eine Stand-by-Fliegerin und steht nicht auf der Liste, während sie mit der abgekämpften Stewardess verhandelt, nimmt die neu hinzugekommene Kollegin mein Handy, scannt wortlos meine Bordkarte und scheucht mich ins Flugzeug, den Mann hinter mir auch. Schluss.
Uff! Ich sitze im Flugzeug, aufgrund der Umstände allein in einer Reihe und habe ausnahmsweise einen Fensterplatz. Hinter mir sitzt das Ehepaar mit dem Hund. Ich rufe den Buchhändler an, sage dass wir uns verspäten. Es geht aber nicht los, im Gegenteil, es rumpelt unter mir. Der Kapitän informiert uns, dass das Gepäck der Menschen, die nicht mitfliegen, wieder ausgeladen werden muss. Ich sehe aus dem Fenster wie sich zwei Männer mit einer Liste in der Hand mühsam durch die auf dem Rollfeld herumstehenden Koffer wühlen und die suchen, die dableiben. Ich nehme mir vor, für die nächste Reise ordentliche Kofferetiketten anzuschaffen. Dieses Mal bin ich nicht betroffen, ich habe nur ein winziges Handgepäckstück bei mir. Das mit den Koffern dauert gut anderthalb Stunden. Der Kapitän läuft durchs Flugzeug und checkt die Stimmung, hier und da scherzt er auch: “Sorgen müssen Sie sich erst machen, wenn Sie sehen, dass ich das Flugzeug verlasse”. Das Ehepaar hinter mir rechnet aus, seit wann der Hund in der Tasche sitzt und wie lange er es problemlos aushalten kann.
Zack, die Klappe unter mir wird geschlossen. Es geht los. Die beiden verbleibenden Flugbegleiterinnen beginnen mit der Sicherheitunterweisung. Ich schaue ausnahmsweise zu. Es geht aber doch nicht los. Der Kapitän informiert uns, dass aufgrund des schlechten Wetters im Rest von Europa (in Nizza ist bestes Wetter) nur wenige Flugzeuge von der Flugsicherung die Erlaubnis erhalten zu starten. Wir sind nicht dabei. Manche Eltern laufen mit ihren ungeduldigen Kleinkindern durch das Flugzeug. Andere wechseln weinenden Babys die Windeln. Ich schicke dem Buchhändler, der mich in Unna abholen wollte, eine SMS.
Vor ein paar Tagen habe ich in einem Beitrag auf Instagram die “5 Tipps einer Flugebegleiterin” gelesen. Einer der Tipps war, immer einen Snack dabeizuhaben, denn “you never know” … warum auch immer ich genau diesen Tipp dieses Mal beherzigt habe, ich weiß es nicht, aber ich habe noch ein halbes Sandwich, hatte zusätzlich Kekse, Wasser und ein kleines Fläschchen Orangensaft gekauft. Das hilft in den folgenden Stunden, denn es gibt nix, absolut nix zu essen oder zu trinken, weder jetzt und schon gar nicht später, als wir durch die Turbulenzen hüpfen, denn ja, irgendwann fliegen wir dann doch los. Aber der Kapitän, der schon eine verletzte Stewardess zu beklagen hat, untersagt, dass die beiden Verbleibenden durchs Flugzeug laufen und was auch immer servieren.
Außerdem habe ich ein Buch dabei, das ich beim letzten Deutschlandaufenthalt in einem fast neuen Zustand aus einer der Ex-Telefonzellen-Tausch-Bibliotheken mitgenommen habe. Mariana Leky “Was man von hier aus sehen kann”. Ich schaue, was ich von meinem Bullauge in Reihe 18 aus sehen kann. Ein bisschen Flugzeugflügel und grauen Betonboden. Das Buch passt. Auf dem Vorsatzpapier hat ein Mann seine Handynummer hinterlassen, für die Frau, die einen “richtigen Mann” suche. Er gibt seine Maße mit an. Ob sowas funktioniert? Ich rufe ihn nicht an. Aber ich liebe das Buch, von dem ich zwei Drittel auf dem Hinflug (und später im Zug) lese, das letzte Drittel auf dem Rückflug.
Ich komme an, auch der Zug hat noch ein bisschen Verspätung aufgrund außerplanmäßiger Halts, aber ich komme an, ich werde abgeholt und von da an ist alles gut. Das Buchhändlerpaar ist reizend, ich werde rundumversorgt, mit Essen, Schokoladentorte, sogar mit warmer Kleidung, denn ich habe viel zu leichte Kleidung an und dabei. Auf die plötzlichen 12 Grad in Deutschland konnte ich mich bei warmen 26 Grad in Cannes nicht richtig einstellen.
Ich habe noch nie bei einer Veranstaltung gelesen, wo alles so liebevoll gestaltet war. In einem Gemeindesaal sind die Tische für Kaffee und Kuchen gedeckt, mit Blumen, rot-weiß-blauen Servietten, selbst gestalteten Karten mit Fotos von Cannes und der Côte d’Azur. Es gibt Crêpes und Kuchen, später salzige tartes, Crémant und Mineralwasser, das Eau la la heißt.
Eine Sängerin mit ihrer kleinen Band (Three in Tunes) singt außergewöhnliche französische Chansons, ich lese, ich signiere, plaudere und mache Selfies mit LeserInnen. Es war sehr schön! Herzlichen Dank an Klaus Steinlage, Irmtraud Schega und allen Helfern und Helferinnen, und herzlichen Dank Ihnen allen, die da waren!